Hypnobirthing lehrt Wellenatmung als Teil seiner Geburtstechniken. Sie wird für die gesamte Öffnungsphase empfohlen, also von der ersten Welle, bis zum Anfang der Geburtsphase. Damit wird die Wellenatmung fast die gesamte Geburt hinweg angewendet.
Die Wellenatmung ist ein sehr langsames ein- und ausatmen, das darüber hinaus vor allem durch das Atmen in den Bauch (also eine Zwerchfellatmung) und durch das balancierte Ein-und Ausatmen charakterisiert wird (man atmet also genau so lange ein wie aus).
Wozu ist das denn eigentlich gut? Welche wissenschaftliche Basis gibt es für so eine Empfehlung? Da diese Basis meines Wissens nirgends erörtert wird, wollte ich dies endlich genauer wissen.
Erster Vorteil: ein positiver Einfluss auf das vegetative Nervensystem
Als erstes sei festgehalten, dass man durch Atemtechniken (aber auch durch weitere Verhaltensweisen, wie das Nichtstun, oder das Rennen etc.) einen gewissen Einfluss auf das vegetative Nervensystem nehmen kann, was direkt nicht möglich ist (Telles et al, 1994, Brown & Gerbarg, 2005).
Das vegetative Nervensystem (VNS) ist ein autonomes Steuerungssystem unseres Körpers, das unwillkürliche lebenswichtige Funktionen (Vitalfunktionen) wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und Stoffwechsel kontrolliert und steuert.
Unser vegetatives Nervensystem besteht aus folgenden Teilen:
- Das sympathische Nervensystem. Es ist jenes Nervensystem, welches in anstrengenden oder stressigen Situationen, unseren Körper in Fluchtsituationen oder bei einem Angriff leistungsfähig und wach machen um unsere Überlebensfähigkeit zu steigern.
- Das parasympathische Nervensystem (Parasympathikus). Es ist das beruhigende Nervensystem, das unsere Organe dahingehend steuert, dass sie sich erholen und regenerieren können.
- Das Enterische Nervensystem (ENS) ist das Nervensystem des Magen-Darm-Traktes und gehört auch zum vegetativen Nervensystem, ist aber ein vollkommen selbstständiges System, welches aber auch von Sympathikus und Parasympathikus beeinflusst wird.
Der Parasympathikus und der Sympathikus sind Gegenspieler, die sich perfekt ergänzen, und es unserem Körper ermöglichen, automatisch in jeder Situation die richtige Aktivität aufzuweisen, je nachdem, wie wir die Situation einschätzen. Heutzutage aktivieren wir das symphatische Nervensystem oft häufiger als es unserem Körper gut tut.
Die Atmung: der einzige Weg, unser vegetatives Nervensystem bewusst zu beeinflussen
Generell ist es nun so, dass wir keine direkte Möglichkeit haben, unser VNS zu beeinflussen. Eine Ausnahme bildet die Atmung. Die Nasenatmung (die in der Wellenatmung benutzt wird), regt eher das parasympathische Nervensystem an. Die Atmung durch den Mund regt eher das sympathische Nervensystem an.
Zweiter Vorteil: ein positiver Einfluss auf die Hormonproduktion
Das Vegetative Nervensystem nimmt darüber hinaus auch Einfluss auf Organe oder Organsysteme, wie z.B. Sexualorgane und Endokrine Drüsen. Ein Beispiel für eine Drüse, die vom Vegetativen Nervensystem beeinflusst wird ist die Hypophyse, die in der Geburt ein ganz zentrales und wichtiges Hormon, das Oxytocin, produziert.
Generell ist es nun aber so, dass in der Öffnungsphase die Aktivierung des Parasympathikus notwendig ist, damit die Gebärmutter richtig arbeiten kann. Stressige Situationen oder gar Angst hindern den Geburtsfortschritt in der Öffnungsphase, da es zu ineffektiven Öffnungsphasenwellen kommt. Gebärende, die zu Hause einen stabilen, fortgeschrittenen Geburtsverlauf hatten, berichten häufig, dass nach Verlassen des eigenen Zuhauses zugunsten des Krankenhauses der Geburtsfortschritt abflaute, ja gar zum Geburtsstillstands führte.
Das macht durchaus Sinn. Evolutionstechnisch ist es besser, wenn das Baby nicht weiter ins Becken geht, während der Löwe einen jagen möchte. Und damit ist es sinnvoll, wenn die Ausschüttung von Oxytocin, welches für die Wellentätigkeit unserer Gebärmutter verantwortlich ist, von unserem vegetativen Nervensystem abhängt.
Das bedeutet, dass das VNS durchaus auch Einfluss auf die Geburt nimmt.
Dritter Vorteil: mehr Sauerstoff für Mutter und Baby
Warum es besser ist, durch die Nase zu atmen, findest Du in diesem Blogeintrag.
Zusammenfassend sei gesagt, dass die Vorteile der Nasenatmung vielfältig sind. Eine, dieser Vorteile, ist, dass dadurch ca. 15% mehr Sauerstoff aufgenommen wird (Cottle, 1972). Diesen Vorteil kann man durch Atemtechniken weiter ausbauen, wie eine Reihe von Studien zeigen – und die Wellenatmung ist eine solche Atemtechnik.
Warum ist denn das Mehr an Sauerstoff gut?
Sauerstoff ist Voraussetzung für die Energiegewinnung aus den energietragenden Nährstoffen – und damit entscheidend, wie gut unser Körper seine Funktionen erledigen kann. Denn es gibt wohl keinen Zweifel, dass ein gebärender Körper Energie benötigt, um die vielfältigen Veränderungen im Körper voranzutreiben.
Der weibliche Körper produziert zum Beispiel Oxytocin. Oxytocin generiert Wellentätigkeit. Wellentätigkeit verändern Gebärmutter und öffnen den Geburtsweg für Baby. Das Gewebe des Geburtsweges bereitet sich auf das Öffnen und Nachgeben für Baby vor. Die Muskeln arbeiten, bringen Baby in den Geburtsweg, und in die Welt – all diese Änderungen benötigen Energie, und damit Sauerstoff.
In der Schwangerschaft und Geburt kommt noch hinzu, dass wir das Sauerstoff, den “Spender des Lebens” (Prof. Warburg, Nobelpreisträger) natürlich nicht nur für uns benötigen, sondern auch für unser Kind.
Wellenatmung führt zu einer signifikanten Verbesserung der Sauerstoffsättigung ohne Erhöhung der Herzfrequenz.
Atemforschung belegt, dass reduzierte Atmungsraten von 5 – 6 Atemzüge pro Minute die Vagusaktivierung erhöhen können, welches zu einer Verringerung der sympathischen Aktivierung, einer Erhöhung der parasympathischen Aktivierung, und einer erhöhten kardial-vagalen Baroreflexempfindlichkeit (BRS) führt (Bernardi et al, 2002, Joseph et al, 2005, Raupach et al, 2008). All dieses korreliert mit der psychischen und physischen Gesundheit (Mason et al, 2013).
Eine Studie (Mason et al, 2013) hat gefragt, worauf es dabei für Ungeübte in Atemtechniken ankommt – längere Ausatmung als Einatmung, mit oder ohne Ujjayi Verengung der Glottis im Kehlkopf, usw. Der maximale Anstieg der Baroreflexempfindlichkeit und Abnahme des Blutdrucks wurden bei langsamer Atmung mit gleich langer Ein- und Ausatmung gefunden. Dies führte zu einer signifikanten Verbesserung der Sauerstoffsättigung ohne Erhöhung der Herzfrequenz.
Vierter Vorteil: Entspannter, und damit auch weniger Schmerz
Jegliche rhythmische Atmung kann man dazu benutzen, um den Praktizierenden in einen tiefen meditativen Zustand der Entspannung zu führen und sein Körperbewusstsein zu fördern (Carter & Carter, 2016). Beide diese Punkte sind gut für die Geburt, da die Gebärende während der Geburt am besten entspannt ist, und in sich und ihren Geburtskörper geht, den Neokortex ausschaltend (Odent, 2016).
Eine Entspannung während der Geburt hilft in der Geburt, den “Angst-Verspannungs-Schmerz Kreislauf” zu vermeiden. Angst in der Geburt führt zu Verspannung. Verspannung zu Schmerz – das Oxytocin, das durch das angstfreies Entspannen mit Vertrauen in den eigenen Körper besser ausgeschüttet wird, kann maximale Resultate erzielen, da die Mutter nicht ihre arbeitenden Muskeln verkrampft, und somit die Kräfte ungehindert den Geburtsweg formen lässt.
Fünfter Vorteil: mehr Harmonie der Muskeln rund um das Baby
Die Wellenatmung kann eventuell auch einen weiteren positiven Effekt haben, in Schwangerschaft und Geburt. In der Schwangerschaft und Geburt ist die Beckenbalance sehr wichtig für eine leichte Geburt. Optimalerweise ist der gesamte Körper in Harmonie und in Balance. Alternativ, für die Geburt, sollten es zumindest die Muskeln und Bänder rund um das Becken sein.
Das breite Gebärmutterband mit den kleinen Muskeln rund um es herum ist eines dieser Bänder. Eine Möglichkeit, diese Umgebung zu beeinflussen ist das Zwerchfell, das wir mit der tiefen Bauchatmung während der Wellenatmung in Bewegung setzen.
Auch sorgt die Wellenatmung für ein Dehnen aller Bauchmuskeln, vor allem der querverlaufenden Bauchmuskeln. Dies kann ein wichtiger Schritt zur Beibehaltung der Gesundheit dieser Muskelgruppen, denn es ermöglicht ein Entspannen der Muskeln.
Wie lang sollte die Wellenatmung sein?
Die hier aufgeführten Studien empfehlen eine Atemlänge, die etwa 10 – 12 Sekunden in einem Atemzyklus verbringen, was bei gleich langem Ein- und Ausatmen also etwa 5-6 Sekunden für das Ein- bzw. Ausatmen. Übrigens: Normaler Rhythmus ist zwischen 12 und 20 Atemzyklen pro Minute – also zwischen 3 – 5 Sekunden pro Zyklus.
Siehe bitte auch folgende Blog-Einträge zum Thema der Atmung (während der Geburt):
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Letzte Aktualisierung 21.1.2022
Copyright © 2022 Viktoria Maier. This is an open access article distributed under the Creative Commons Attribution License, which permits unrestricted use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original work is properly cited.
Quellen:
Bernardi L, Porta C, Spicuzza L. et al., “Slow breathing increases arterial baroreflex sensitivity in patients with chronic heart failure,” Circulation, vol. 105, no. 2, pp. 143–145, 2002.
Brown RP, Gerbarg PL. Sudarshan Kriya Yogic breathing in the treatment of stress, anxiety, and depression. Part II–clinical applications and guidelines. J Altern Complement Med. 2005 Aug;11(4):711-7. Review. PubMed PMID: 16131297.
Carter KS, Carter III R. Breath-based meditation: A mechanism to restore the physiological and cognitive reserves for optimal human performance. World Journal of Clinical Cases. 2016;4(4):99-102. doi:10.12998/wjcc.v4.i4.99.
Cottle MH. Nasal breathing pressures and cardio-pulmonary illness. Eye Ear
Nose Throat Mon. 1972 Sep;51(9):331-40. PubMed PMID: 5068888.
Joseph C. N., Porta C., Casucci G. et al., “Slow breathing improves arterial baroreflex sensitivity and decreases blood
Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine 7 pressure in essential hypertension,” Hypertension, vol. 46, no. 4, pp. 714–718, 2005.
Mason H, Vandoni M, deBarbieri G, Codrons E, Ugargol V, Bernardi L. Cardiovascular and Respiratory Effect of Yogic Slow Breathing in the Yoga Beginner: What Is the Best Approach? Evidence-based Complementary and Alternative Medicine : eCAM. 2013;2013:743504. doi:10.1155/2013/743504.
Odent, M. Es ist nicht egal, wie wir geboren werden. Risiko Kaiserschnitt. 18. April 2016. Mabuse-Verlag; 3. Aufl.
Raupach T., Bahr F., Herrmann P. et al., “Slow breathing reduces sympathoexcitation in COPD,” The European Respiratory Journal, vol. 32, no. 2, pp. 387–392, 2008.
Telles S, Nagarathna R, Nagendra HR. Breathing through a particular nostril
can alter metabolism and autonomic activities. Indian J Physiol Pharmacol. 1994
Apr;38(2):133-7. PubMed PMID: 8063359.
“Endokrines System (Hormonsystem) und endokrine Organe”, https://www.lecturio.de/magazin/endokrines-organe-hormonsystem/ aktualisiert 01.09.2016
“Endokrine Drüse”, https://de.wikipedia.org/wiki/Endokrine_Dr%C3%BCse